Gefahrenhinweiskarte für Hangmuren und Murgänge für das gesamte deutsche Schienennetz
Beeinträchtigung im Bahnverkehr durch Hangmuren und Murgänge
„Zugsausfall aufgrund Streckenunterbrechung“. Dem einen oder anderen Bahnreisenden ist diese Fahrgastinformation vielleicht bekannt. Auf Streckenabschnitten mit steilen Bächen und Böschungen sind es nach Starkniederschlägen nicht selten Hangmuren und Murgänge, welche diese Streckenunterbrüche verursachen. Auch wenn in Deutschland deutlich weniger Bahnstrecken in solch steil geneigtem Gelände verlaufen als z. B. in der Schweiz, kann es immer wieder zu gravitativen Massenbewegungen entlang der Bahnstrecke kommen. Für die Bahnbetreiber bedeuten Hangmuren- und Murgangereignisse Kosten durch Schäden an der Bahninfrastruktur und am Rollmaterial aber auch Folgekosten durch Zugsausfälle, Umleitungen und Verspätungen. Unter Umständen können sogar Menschenleben betroffen sein.
Gefahrenhinweiskarte Hangmuren und Murgänge
Die Bietergemeinschaft geo7 AG - geomer GmbH hat im Auftrag des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung (DZSF) beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) eine Gefahrenhinweiskarte für Hangmuren und Murgänge für das gesamte deutsche Schienennetz erarbeitet. Dabei wurden in einem ersten Schritt basierend auf flächendeckend verfügbaren Geodaten Anrissbereiche für Hangmuren und Murgänge abgeleitet. Für Hangmuren wurde ein physikalisch-basierter Hangstabilitätsansatz (Infinity Slope Stability Ansatz), gekoppelt mit einem einfachen hydrologischen Modell, verwendet. Für Murgänge kam ein empirischer Ansatz zur Identifikation von murfähigen Gerinneabschnitten zum Einsatz. Ausgehend von diesen Anrissbereichen wurden mit Monte-Carlo-Simulationen die Fliessbahnen, Ausbreitung und Reichweiten von Hangmuren und Murgängen simuliert. Dabei berücksichtigen beide Modelle die Gleitreibung und die innere Reibung des Wasser-Feststoffgemischs. Es wurden jedoch für Hangmuren und Murgänge unterschiedliche Parameter gewählt, um den Unterschieden der zwei Prozesse besser Rechnung zu tragen. Das Hangmuren- und Murgangmodell musste so optimiert werden, dass eine flächendeckende Anwendung auf das gesamte deutsche Schienennetz möglich war. Die so ermittelten Prozessräume wurden entsprechend ihrer Grössenordnung in drei Gefahrenklassen unterteilt und anschliessend mit dem Schienennetz verschnitten.
Endergebnisse sind je eine Gefahrenhinweiskarte für Hangmuren, Murgänge und eine Karte, welche beide Prozesse gemeinsam abbildet. Die Gefahrenhinweiskarte wurde stichprobenartig in den drei Pilotregionen Voralpen, Elbsandsteingebirge und Sauerland vor Ort plausibilisiert.
Vergleich Hinweismodellierung und Detailmodellierung
Im Rahmen des Projekts für das DZSF wurden zusätzlich zwei neuralgische Streckenabschnitte am Schliersee in Bayern exemplarisch auf Detailstufe bearbeitet. So konnten die Simulationsergebnisse mit den Modellen für Hangmuren und für Murgänge auf Hinweisstufe mit der gutachterlichen Einschätzung vor Ort verglichen werden. Im Zuge der Bearbeitung auf Detailstufe wurden u. a. auch Simulationen mit dem 2D hydraulischen Hangmuren- und Murgangmodell RAMMS durchgeführt. Dabei zeigte sich grundsätzlich eine gute Übereinstimmung der simulierten Prozessräume aus dem Hinweismodell und dem Detailmodell.
Übersicht über gefährdete Bahnstrecken
Entsprechend der neu erarbeiteten Gefahrenhinweiskarte sind vom insgesamt 34‘177 km umfassenden Schienennetz Deutschlands 131 km (0.4 %) stark, 938 km (2.7%) mittel und 2122 km (6.2%) gering durch Hangmuren oder Murgängen gefährdet. 606 km (1.9%) sind untertunnelt und damit grundsätzlich nicht gefährdet. Die Streckenabschnitte können nun entsprechend ihrer Gefährdung priorisiert und wo erforderlich im Detail vor Ort genauer untersucht werden.
Das fertige Produkt sowie der Abschlussbericht werden demnächst veröffentlicht. Der Abschlussbericht wird über die Website des DZSF abzurufen sein, die Gefahrenhinweiskarten im GeoPortal des EBA. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel in der Eisenbahntechnischen Rundschau sind die ersten Ergebnisse publiziert (siehe Download unten).
Fundierte Grundlage für eine umfassende Übersicht
Die prozessbasierte Gefahrenhinweiskarte für Hangmuren und Murgänge liefert einen Beitrag für den Umgang mit gravitativen Massenbewegungen im bundesweiten deutschen Schienennetz und bildet eine neue Grundlage zur Gefahrenbewertung. Die von der geo7 AG und geomer GmbH entwickelte Methodik und die Modelle für Hangmuren und Murgänge von geo7 sind in der Lage, gebietsspezifische Eigenschaften wie Landnutzung und Niederschlagsverhältnisse zu berücksichtigen. Zukünftig könnten so also auch klimabedingte Änderungen bei den auslösenden Niederschlägen berücksichtigt werden: Eine Gefahrenhinweiskarte für Hangmuren und Murgänge unter Berücksichtigung des Klimawandels!