Geowissenschaften in der Praxis
31. Januar 2018

Ein probabilistisches Modell zur Abschätzung des Schadenpotenzials durch Überflutungen

Extremwertstatistik über die üblichen Grenzen hinaus

Eine einfache Faustregel besagt, dass in der Extremwertstatistik-Praxis Aussagen zu Jährlichkeiten zulässig sind, welche die dreifache Länge der untersuchten Zeitreihe nicht überschreiten. Aussagen zu grösseren Jährlichkeiten aus den Standardmethoden der Extremwertrechnung sind üblicherweise zu unzuverlässig, weil sie zu stark von den beobachteten Extremereignissen abhängen.

Die Faustregel gilt, wenn man die Daten einer einzelnen Messstation untersucht. Wie ist es nun aber, wenn man die Daten von mehreren verfügbaren Messstation simultan in einem multivariaten Modell untersucht? In diesem Fall werden sich Tendenzen zu Über- und Unterschätzungen in einem gewissen Rahmen ausgleichen, was die Zuverlässigkeit und Robustheit erhöht.

Man kann aber noch einen Schritt weitergehen. Statt aus einer Extremwert-Verteilung direkt Extremereignisse abzulesen, kann man die (multivariate) Verteilung nutzen, um eine längere Zeitreihe ähnlicher Ereignisse zu simulieren (Monte Carlo Simulation). Der Vorteil: die so generierte Zeitreihe enthält auch Ereignisse ausserhalb der Messreihe. Diese können mittels Expertenwissen auf Plausibilität geprüft werden.

Die Anwendung im Rahmen einer Schadenpotenzialabschätzung

Ablaufschema
Gesamtablauf der Schadenpotenzialanalyse

Im konkreten Fall geht es um die Abschätzung der Schadensumme durch Überflutung für seltene (ca. 300-jährliche) und sehr seltene Ereignisse (ca. 1000-jährlich). Dazu werden in einem ersten Schritt die monatlichen Spitzenabflüsse an 38 Abflussmessstationen im Kanton Bern und der näheren Umgebung extremwertstatistisch eingeordnet. Untersucht werden die letzten 40 Jahre, für welche homogene Datenreihen vorliegen. Zusätzlich wird die räumliche Korrelation des Auftretens von Spitzenabflüssen ermittelt. Diese Daten bilden die Grundlage für die Simulation einer synthetischen Datenreihe von 120‘000 monatlichen Spitzenabflüssen bzw. deren Jährlichkeit für die 38 Abflussmessstationen. Dabei fliesst die räumliche Korrelation der Spitzenabflüsse mit ein. In der synthetischen Datenreihe sind Ereignisse zu finden, deren Jährlichkeit deutlich über den Werten der 40-jährigen Messreihe liegen. Ausserdem zeigen die Resultate bekannte räumliche Muster von Hochwasserereignissen (nachfolgende Abbildung).

Die Jährlichkeiten künstlich erzeugter Hochwasserereignisse an 38 Messstationen
Die Jährlichkeiten künstlich erzeugter Hochwasserereignisse an 38 Messstationen

Auf der Basis der Stationsdaten können jedoch noch keine Schadensummen berechnet werden. Hierzu ist eine flächendeckende Aussage notwendig. Deshalb werden die Stationsdaten in einem weiteren Schritt räumlich interpoliert, wobei ein Kriging-Ansatz angewendet wird, der neben der euklidischen Distanz auch die Distanz entlang des Gewässernetzes miteinbezieht (TopKriging). Daraus resultieren für jeden Monat Jährlichkeitsaussagen für 5500 Einzugsgebiete. Das bedeutet, dass insgesamt 660 Mio. Jährlichkeitswerte simuliert werden. Unter Einbezug der Gefahrenhinweiskarte Überflutung des Kantons Bern und dem Portfolio der Versicherungsobjekte lässt sich nun das Schadenpotenzial für verschiedene Jährlichkeiten berechnen.

Räumliche Interpolation mittels TopKriging-Verfahren
Räumliche Interpolation mittels TopKriging-Verfahren

Andere Anwendungen

Mit einem probabilistischen Modell lässt sich eine grosse Anzahl möglicher Szenarien generieren. Generierte Szenarien stellen mögliche Alternativen zu den Beobachtungen dar oder zeigen eine potenzielle Zukunftsentwicklung. Bei Bedarf lassen sich auch Trends in die Szenarien einrechnen (Klimawandel, demografische Entwicklung, technischer Wandel, etc.). Die simulierten Szenarien lassen sich weiterverarbeiten oder statistisch auswerten.

Kernelemente eines (probabilistischen) Modelles lassen sich oftmals in verschiedenen Kontexten anwenden: Neben Naturgefahren lassen sich mit ähnlichen (geo-)statistischen Mitteln auch das Aufkommen von Krankheiten (Gesundheitsszenarien), Gebäudesanierungen (zur Bestimmung des Energiebedarfs) oder ähnliches simulieren. geo7  hat langjährige Erfahrung in interdisziplinären Projekten und in der Zusammenarbeit mit Experten anderer Fachgebiete, um deren Fragestellungen zu beantworten.

Vielleicht ging auch Ihnen beim Lesen eine Fragestellung durch den Kopf, für welche Sie das richtige Modell suchen. In diesem Fall bieten wir gerne Hand und freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme.

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Maike Schneider

Maike Schneider
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Catherine Berger

Catherine Berger
Geografin (Dipl.), Dr. phil. nat.
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